UnHei(m)lig.

HEADER LebensStücke

Ich las gerade einen Satz, im dem das Wort ´heilig´auftauchte, und merkte, dass sich mir sofort die Stacheln aufstellen wollten, weil ich spontan an meine Kindheit in den 50er Jahren und die alte, stets streng dreinblickende katholische Omma Urbanski erinnert bin, die Tür an Tür neben uns im Dachgeschoß (mit Gemeinschaftsklo auf halber Treppe)  wohnte.

In ihren Augen waren wir eine sündige Familie. Meine Mutter wurde schon sehr jung Witwe, und ich bin dann ein paar Jahre später „unehelich“, wie man es, schon damals für mich als Kind unangenehm spürbar, naserümpfend nannte, geboren. Evangelisch dazu. Pfui. Ihre moralische Entrüstung trug Omma Urbanski als eigenen Heiligenschein vor sich her. Sie war nämlich Fräulein geblieben.

Ihre kleinen zwei Zimmerchen waren vollgestopft mit frommem Kram, Kruzifixen, einem kleinen Weihwasserkesselchen an der Wand und düsteren Heiligenbildchen, die mir immer etwas Furcht einflößten, weil die Gesicher darauf immer nur ernst oder furchtbar leidend dreinschauten, genau wie sie selbst.
Es roch bei ihr auch immer so muffig nach alter Omma und Weihrauch.

Ihr strenger Blick gab mir kleinem Knirps stets das mulmige Gefühl, irgend etwas falsch gemacht zu haben, in ihren Augen nicht fromm, nicht brav genug zu sein, was ich, das erstere betreffend, eigentlich auch überhaupt nicht war. Wir waren die einzigen Nicht-Katholiken im Haus und hatten es nicht so mit dem Kirchenbesuch. Die muffigen Moral-, Anstands- und Denkregeln der 50er Jahre und besonders die der Kirchen ließen einfache Leute wie meine Mutter und mich sehr schnell das Gefühl des Weniger-wert-seins aufkommen.

Gut, Omma Urbanski ließ mich, da wir kein eigenes Radio besaßen, hin und wieder samstags an ihrem uralten Radiogerät den Kinderfunk des NWDR hören, jedoch nie ohne den Versuch, mich über das von ihr vermutete Lotterleben und die Besucher meiner Mutter auszufragen. Vielleicht war die Ausfragerei auch nur der Grund, mich bei ihr Radio hören zu lassen. Manchmal gab sie mir so kleine Heiligenbildchen mit frommen Sprüchen mit, deren Botschaft ich aber nicht verstand. Diese Bildchen landeten dann irgendwann in unserem Kohleofen.

Die anderen Kinder in unserem Haus waren allesamt katholisch, gingen beichten und mir kamen deren Eltern immer etwas strenger, frommer vor. Sonntags gingen sie dann alle in ihrer piekfeinen Sonntagskleidung in die Kirche.
Und wenn ich einmal bei meinen Spielfreunden zum Mittagessen bleiben durfte, waren mir immer die Momente komisch, an denen vor dem Essen gebetet wurde. Brav faltete ich dazu auch meine Hände und hoffte, dass bloß niemand merkte, dass ich den Text nicht richtig mitsprechen konnte. Eigentlich mochte ich schon allein wegen dieser Tischgebetsmomente nur sehr ungern bei Freunden mitessen.

Wenn für meine Nachbarskinder, die ja auch dann, wie es sich gehörte, die katholische Schule besuchten, die Zeit ihrer „Kommion“… kam, bemerkte ich, dass sie sich veränderten: das Thema Jesus und Beichte und Sünde waren nun wichtig – und mir wurde auch klargemacht, dass es falsch sei, wenn man seine Sünden nicht beichtet, weil man dann in die Hölle kommt, die ich mir bildhaft als eine tief unter der Erde liegende Riesenhöhle voller Feuer vorstellte, in der der Teufel lebte. Mir war dieses Glaubenmüssen, das Furchteinflößen, diese Strenge und das unvermeidbare, vermutlich gewollt erzeugte schlechte Gewissen, das daraus folgte, schon als Kind immer unheimlich.

Und das ist bis heute so geblieben: verzückte Heiligenverehrungen durch eigentlich aufgeklärte Menschen in der heutigen Zeit oder gar ihr kindlich naiver Glaube daran, dass dank eines „Heiligen“ namens Blasius zwei gekreuzt vor den Hals gehaltene geweihte Kerzen bei Halsschmerzen helfen, lassen mich immer etwas verwundert zurück.
So´n Placeboeffekt funktioniert bei mir auch ohne Heilige.
Soll mich doch der Teufel holen.

Kohlenspott Sommerloch (17)

Über Lo

Wer im Schatten des Förderturms der Gelsenkirchener Kohlenzeche Graf Bismarck aufgewachsen ist – zu einer Zeit, als man tatsächlich noch vom “schwatten Kohlenpott” sprechen konnte, weil damals “Wäsche auffe Leine” nicht lange weiß blieb, wer sommerliche Badefreuden nicht am blauen Meer, sondern am Ufer des Rhein-Herne-Kanals – der so genannten “Frikadellen-Riviera” – genoss und sich als Kind über “Hasenbrot” freute, was in Wirklichkeit nichts anderes war, als die wieder mit nach Hause gebrachten Stullen, die vom Vater als Bergmann unter Tage nicht aufgegessen wurden, wer schon als kleiner Knirps ganz stolz für 50 Pfennige Belohnung 20 Zentner regelmäßig vor dem Haus angelieferte “schwatte” Deputatkohle in den Keller schippte, der hatte eine vielleicht arme, aber trotzdem abenteuerliche und schöne Kindheit zur Zeit der Pettycoats und des Wirtschaftswunders. Meine Wurzeln sind der Kohlenpott und seine Menschen mit ihrem besonderen, grund”ährlichen” Charme... Gezz weisse ´n bissken Bescheid, oder?
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9 Antworten zu UnHei(m)lig.

  1. Heinrich schreibt:

    Lieber Lo,
    dass trotz Omma Urbanski aus Ihnen so ein prima Mensch geworden ist, ist eine besondere Leistung. Ich hatte mehr Glück als Sie, dass weniger Heilige meinen Weg gekreuzt haben und versucht haben, mich auf den rechten Weg zu führen. (Obwohl man dort auch aus anderen Gründen landen könnte)
    Aber es ist ja glücklicherweise noch einmal alles gut gegangen! Wir sind auf der richtigen Seite! Diese Heiligen wollen immer mit dem Kopf durch die Wand (ich habe neulich auch so einen getroffen!)

    Aber glücklicherweise sind wir standhaft und stecken unseren Kopf deswegen NICHT in den Sand!

    Gruß Heinrich

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  2. Heinrich schreibt:

    P.S. wenn Sie der Teufel holt, sagen Sie mir bitte Bescheid! Dann könnten wir 3 vielleicht ’ne Runde Pokern. Ein Gebetbuch dafür hat er ja immer dabei.

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  3. rejekblog schreibt:

    Danke für deine Zeitreise! Bin ja doch heilfroh ein paar Tacken später geboren worden zu sein. Bin ebenfalls evangelisch, auch keine Kirchgänger-Familie. Auch die Nachbarschaft damals in Duisburg-Bruckhausen hatte da wenig Muse zu. Gott sei´s gepriesen. Auch ist mir das Lernen von Psalmen oder etc. erspart geblieben, dafür aber auch die reichlich gesegneten Geschenke. Mist! 🙂
    Liebe Grüße

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  4. Andrea schreibt:

    Ich stimme voll und ganz zu :-). Als katholisch getauftem Mädchen ging mir so manches sehr quer. Schon in der Grundschule war ich immer irritiert, wenn die übelsten Streithammel vom Schulhof sonntags „schein-heilig“ in ihren Ministrantenumhängen im Gottesdienst mitwirkten. Und das anstrengende Sünden-Ausdenken, wenn Beichte war… Ich wollte doch einem wildfremden Menschen nicht erzählen, was ich ausgefressen hatte!
    Später bin ich aus der katholischen Kirche ausgetreten, und über die vergangenen Jahre hat sich eine immer größere Abneigung gegen die christliche Kirche herausgebildet. Das wurde mir jedes Mal klarer, wenn ich darüber nachdachte, dass der christliche Glauben darauf basiert, dass man sich dauerhaft schlecht fühlen soll, weil jemand anderes für einen gestorben ist (und gefoltert wurde). Das ist doch Masochisten-Denke!

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    • Clara HH schreibt:

      Wir sind als Familie „konvertiert“, aber zu den Evangelen, weil ich mit den Katholen auch zunehmend schlechter klar kam. – Dieser jetzige Papst hätte bessere Karten bei mir gehabt als alle Vorgänger.
      Spätestens, als die vielen Missbrauchsfälle bekannt oder „ruchbar“ wurden, wäre ich ausgetreten.

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  5. eimaeckel schreibt:

    Schöner dichter Text ohne Schnörkel. Auch bei mir ging ein Bildchen an (aber kein Heiligenbildchen). Von meiner „Tante“ Susanne. Auch sie ein Fräulein, das mit uns in der Hinterhofwohnung mit Blick auf die katholische Kirche wohnte. Statt Radio gabt eine Spieluhr mit „Tulpen aus Amsterdam“. Sie war herzensgut und hätte so gerne gehabt, dass ich Pfarrer geworden wäre. Wäre auch fast was geworden, als ich mit 10 Jahren aus der Beichte mit einem mächtig schlechten Gewissen entlassen wurde (Der Herrgott ist für dich am Kreuz gestorben, und du willst nicht mal Sonntags in die Kirche gehen…?) kriegte ich eine schwer religiöse Phase, die mir mein Vater aber schleunigst wieder austrieb. Er hatte als Knecht auf einem Klostergut gearbeitet und wusste, wie schlecht die heiligen Männer mit ihren Untergebenen umgingen und was sie sich selber gönnten.

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  6. Clara HH schreibt:

    Dass die Heiligenbildchen den Ofen erwärmten, war der beste Zweck, den sie erfüllen konnten.
    Ich kenne das mit der frömmelnden katholischen Kirche sehr gut, denn bis kurz über 20 war ich katholisch.
    Meine Mutter blieb junge Witwe, offensichtlich ohne jeglichen Makel – so empfand ich es jedenfalls.
    Mit Gruß von Clara

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  7. Clara HH schreibt:

    Der Mann, der in Berlin mit dem Kopf durch die Wand will, ist noch etwas größer.

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  8. c. araxe schreibt:

    Sehr schönes interessantes Zeitdokument. Sicher wird Omma Urbanski nicht mehr leben und in Ihrem Alter werden Sie damals sicher nicht auf den Gedanken gekommen sein, da mal nachzufragen. Aber ich versuche es immer wieder, wenn ich auf bigotte Leute treffe, ihren Glauben zu hinterfragen. Also sie mehr als Jesus ans Kreuz festzunageln. Selbst bei theologisch geschulten Leuten kamen dabei immer nur schwammige Begründungen heraus, die in keinster Weise erklären, worin nun dieser Glaube begründet ist.

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