Der gute Jules (Trithemius) hat, selbst angeregt durch einen Beitrag von Manfred Voita NASE VOLL die wunderbare Idee eines Erzählprojekts auf seinem Blog mit dem Titel DIE LÄDEN MEINER KINDHEIT gestartet. Es geht um Kindheitserinnerungena an alte Geschäfte mit ihren Gerüchen, die lebenslang starke Erinnerungsträger bleiben, alte Warenmarken, die es heute nicht mehr gibt, die Scheibe Fleischwurst beim Metzger, Margarine-Sammelbildchen…
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Von Negerküssen und Sträter-Kaffee.
Ein Laden meiner Kinheit in Gelsenkirchen-Erle (50er Jahre)
Ein paar Stufen hoch, links die Ladentüre. Geruch nach Brot, Kuchen, Kaffee und Süßem.
Meine Welt der Hefeteilchen und der Negerküsse.
Hinter der Theke im weißen Kittel bediente „Fräulein“ Hellenkamp, eine kleine, ältere freundliche Frau mit blondem, stets sehr korrekt onduliertem Haar.
Auf die Anrede „Fräulein“ war Wert zu legen. Ich glaube, sie selbst war kleiner, als ihre Verkaufstheke hoch war.
Stand man vor der Glastheke, waren die sahnigen Negerküsse dort direkt in Kinderaugenhöhe einsortiert.
Auch die Bonbons und die mit buntem Stanniol umfassten Eiskonfekts.
Mit zehn Pfennigen in der Tasche hatte man die Qual der Wahl: nehme ich einen Negerkuss oder zwei „Eiskonfekte“?
Rechts an der Wand vor der Theke stand ein Metallregal der Firma XOX mit schräg übereinander gestapelten, silberblanken XOX-Blechdosen, die alle einen Glasdeckel hatten, der den Blick auf verschiedenste Sorten Waffelgebäck, Plätzchen mit und ohne Schokoüberzug freigab und denen Fräulein Hellenkamp das nach Gramm gewünschte Naschwerk mit einer an einer Kette hängenden Gebäckzange entnahm.
Bei Fräulein Hellenkamp einzukaufen, war immer in Vergnügen, weil es ja meist etwas mit Süßem zu tun hatte.
Überhaupt fand ich, dass Fräulein Hellenkamp es richtig gut hatte. Sie konnte jeden Tag Hefeteilchen oder Negerküsse essen, soviel sie wollte.
Wie oft habe ich es mir vorgestellt, was ich alles täglich essen würde, wenn ich an ihrer Stelle wäre….
Wenn wir zu Hause Brot brauchten und meine Mutter mich zu Fräulein Hellenkamp rüberschickte, schärfte meine Mutter mir ein, unbedingt zu sagen, dass das Brot „zum Anschneiden“ sein sollte. Was ich nicht wissen konnte, ist, dass es sich dann immer um Brot des Vortages gehandelt hat, das Fräulein Hellenkamp dann zum halben Preis verkaufte.
Kaffee gab es hier auch. Und er wurde immer in einer großen, blanken elektrischen Kaffeemühle unter sehr lautem Getöse gemahlen.
Danach roch es immer so schön und die mit dem Kaffeemehl gefüllte Tüte fühlte sich warm an.
Mein Augemnerk beim Kaffeekauf beschränkte sich auf die Wahl der „richtigen“ Marke. Es gab immerhin „Klipps“- „Vox“- und „Sträter-Kaffee“.
Es musste STRÄTER-Kaffee sein, weil in der Packung oben auf den duftenden Bohnen stets ein nach Mokka schmeckendes Bonbon zu finden war, das Fräulein Hellenkamp vor dem Mahlen der Tüte entnahm und mir überreichte.
Das war dann die Belohnung fürs Einkaufen.
Überhaupt wurde schon damals der absatzfördernde Einfluß der Kinder auf die „richtige“ Marke erkannt: so fanden sich in den Kölln-Haferflocken Sammelbilder, ebenso bei RAMA. Und hätte es im hiesigen Schuhaus Göbel keine Lurchi-Bücher und ein Karussell mit einem roten Tretauto gegeben, hätten mich neue Schuhe nicht die Bohne interessiert…
Lieber Lo!
Das haben Sie sehr schön geschildert.
Mir scheint, dass es fast in jeder Kindheit einen Laden gegeben hat mit einer Dame oder einem Herrn hinter dem Verkaufstresen, mit dem man derlei Erinnerungen verbindet. Bei der lieben Mitzi ist es Frau Grüner, bei Ihnen Fräulein Hellenkamp und bei mir waren es Frau Harms Lädle und Herrn Nötzels Schreibwarengeschäft.
Kaufen Sie heute Schuhe auch nur, wenn ein Karussell im Schuhgeschäft steht? 🙂
Herzliche Grüße von der Alm
Mallybeau
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Och ja.
Eine Rutsche täte es auch
😉
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Lieber Lo,
dankeschön für diesen eindrucksvollen Beitrag mit den vielen schönen Einzelheiten aus deiner Erinnerung. Wo bei dir alles deutlich vor Augen steht, habe ich das Gefühl, alles durch ein umgedrehtes Fernrohr zu betrachten. Bei Fräulein Hellenkamp einzukaufen, muss ein Vergnügen gewesen sein. Wer das durfte, war prädistiniert, ein Genussmensch zu werden, als den ich glaube dich zu „kennen.“
Beste Grüße,
Jules.
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Ein schöner Laden muss es gewesen sein.
Die Negerküsse hätte mich als Kind bestimmt am meisten angezogen. Negerküsse und Kaffeeduft – das macht noch heute glücklich. Nur heißen Sie heute Schokoküsse, was mir noch immer schwer über die Lippen geht.
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Lieber Lo,
nun komme auch ich in deiner Erinnerung vorbei, lese mich hindurch und darf schmunzeln. Ich glaube ich muss gleich einmal meine Nase über die Kaffeedose halten, nur so um zu sehen was passiert.
Danke Dir
San
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Was für eine schöne Geschichte, sie weckt Erinnerungen in mir. Der Laden meiner
Kindheit hieß „Winkelmann“ und war in Duisburg-Meiderich. Dort kaufte ich den Kaffee
in kleinen Viertelpfund Päckchen und es war „Hanseaten Kaffee“.
Vielen Dank fürs folgen .
Grüsse vom schreibteufelblog
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Ach ja: es gab ja auch die Viertelpfundpäckchen. Das Geld war ja damals für ein ganzes Pfund nicht immer da…
Grüße zurück und Danke 🙂
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Perfekt. So ähnlich war das auch im Laden der „Frolln Lenz“. Lebensmitte aller Art und RIIIIESIGE Bonbongläser auf der Theke.Ich aber wollte immer, dass Großmutter mir das Bild vom Ziegenbock kauft. Es hing über dem großen Gurkenfass für die Gewürzgurken und war eine Emaille Bock-Bier-Reklame. Ich habe es nie bekommen! Schwarze Pädagogik der 60er! Unsere Vorfahren waren Faschisten! Echt ey!l
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Unser Tante Emma-Laden gehörte Brunhilde. Sie war eine Wuchtbrumme und trug stets eine geblümte Kittelschürze. Sie war verwitwet und hatte drei kleine Kinder, die ab und zu einfach so ein buntes Bonbon aus dem großen Glastopf bekamen. Für mich kostete hingegen jedes Bonbon einen Pfennig.
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Ja, die Erinnerung…. sie malt mit goldenem Pinsel 😉
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